Regisseur Heiko Aufdermauer über sein poetisches Post-Punk-Märchen „Zeit der Fische“
Eine Utopie ist bitter nötig!
Ein milder Dezemberwind weht durch HaNeu (Halle-Neustadt), das einstige Vorzeige-
Neubaugebiet der Saalestadt. Viele Plattenbauten stehen leer.
Die übrigen Bewohner beäugen temporäre Gäste: ein Filmteam. Regisseur Heiko
Aufdermauer inszeniert vor der faszinierenden Kulisse „Zeit der Fische“ nach einem
Drehbuch von Dirk Laucke.
Der Regisseur und sein Kameramann Gregor Schönfelder bestreiten mit dem poetischen
Post-Punk-Märchen ihr Diplom an der HFF Konrad Wolf. Erzählt wird vom 19jährigen
Robert. Er verliebt sich in die geheimnisvolle Jana, die in einer selbstzerstörerischen
Symbiose mit ihrem Bruder Clemens lebt. Neben Newcomer Janus Kocaj spielen Kim
Schnitzer („Lucy“), Christian Blümel („Führer Ex“), Steffi Kühnert und Marie Gruber.
Als Produktionsfirma konnte LUNA-Film gewonnen werden, deren mit dem
Max-Ophüls-Preis prämierter Film „Mondscheinkinder“ seit dem 14. Dezember in den
deutschen Kinos läuft.
Filmecho sprach mit Regisseur Heiko
Aufdermauer über Märchen
,Realität und Selbstversuche im Plattenbau.
Filmecho: Ist für Sie ein modernes Märchen die einzige Möglichkeit, mit sozialen
Realitäten umzugehen?
Aufdermauer: Für mich bedeutet das Schlagwort „Märchen“ zu allererst eine
poetische Erzählweise, die mit Symbolen und wiederkehrenden Motiven arbeitet und den
Grat zwischen Realismus und Überhöhung sucht. Genau das haben wir in Halle-Neustadt
gefunden. Auf der einen Seite begegnet uns hier täglich die Lebensrealität der Bewohner.
Andererseits erleben wir die Verlassenheit und die Extreme der Architektur.
Filmecho: „Zeit der Fische“ hat eine lange Entstehungsgeschichte.
Aufdermauer: Wir arbeiten seit dreieinhalb Jahren an dem Film, waren in dieser Zeit
häufig und für lange Zeit in HaNeu. Wir sind sehr schnell mit den Leuten hier in Kontakt
gekommen. Auch wenn baulich eine städtische Struktur herrscht, so ist der Umgang der
Menschen miteinander ein eher dörflicher. Man kennt sich, grüßt sich. Ich habe auch selbst
eine Woche in einem verlassenen Plattenbau gelebt, um zu wissen, wie das ist.
Filmecho: Ein Selbstversuch ist eine ungewöhnliche Vorbereitung auf einen Film.
Aufdermauer: Ich gehe beim Filmemachen sehr gern vom Ort aus. Ich fahre hin, nehme
die Umgebung wahr und suche nach der Geschichte, die dort spielen kann.
Neustadt barg für mich die spannende Mischung aus einem Abenteuerspielplatz, der an
meine Jugendzeit erinnert und aus einer zeitgemäßen, sozialen Thematik, die hier sehr
präsent ist. In „Zeit der Fische“ geht es auch um ein Geschwisterpaar, das von zu Hause
ausbricht und allein im Plattenbau lebt. Ich wollte das realistisch erzählen, also habe ich
mich für eine Woche selbst hier einquartiert, im Winter.
Es war schon existentiell. Das gesamte Team lebt nun seit einem Monat ebenfalls in einem
leer stehenden Plattenbau, jedoch diesmal mit Strom und Wasser.
Filmecho: Das alles macht den Eindruck einer sehr persönlichen Geschichte.
Aufdermauer: Auf jeden Fall. Es gab zwei wesentliche Motoren für „Zeit der Fische“.
Zum einen war da die politische Komponente. Ich las vor dreieinhalb Jahren in der
Zeitung über einen Jungen, der sich in Prag auf dem Wenzelsplatz selbst verbrannte,
aus Protest gegen die gesellschaftlichen Veränderungen in der Tschechei. Das hat mich
erschüttert, aber ich fand die Form eines so radikalen Protests sehr spannend, ist doch
das System heutzutage kaum noch greifbar. Den politischen Rahmen füllte ich dann mit
persönlichen Eindrücken und Erlebnissen an.
Filmecho: Verglichen mit Filmen der so genannten „Berliner Schule“, die eher Bestands-
aufnahmen liefern und in denen sich die Politik verschlüsselt im privaten Rahmen abspielt,
vertritt „Zeit der Fische“ sehr deutlich einen gesellschaftlichen Standpunkt.
Wollen Sie Diskussionen anregen?
Aufdermauer: Für uns stand stets die Frage einer Utopie im Raum. Gerade zu Zeiten,
in denen über die „Neue Armut“ diskutiert wird, ist HaNeu für uns ein starkes Symbol
dafür, dass eine Utopie bitter nötig ist. In Dirk Laucke, meinem Autor, habe ich einen groß-
artigen Mitstreiter gefunden. Wir suchten nach Gesellschaftsentwürfen, und jede unsrer
Figuren findet eine andere Antwort. Der Protagonist Robert zum Beispiel vermutet die
Utopie bei dem Geschwisterpaar, das sich völlig aus der Gesellschaft zurückgezogen hat.
Filmecho: Kurz vor Drehbeginn wurde die Hauptrolle umbesetzt, warum?
Aufdermauer: Ursprünglich war dafür Timm Völker, ein Punkmusiker aus Halle angedacht,
der auch Vorbild für den Protagonisten Robert war. Doch in der intensiven Probearbeit
wurde klar, dass er neben erfahrenen Schauspielern Schwierigkeiten haben wird.
Also suchten wir weiter und fanden Janusz Kocaj an der Ernst Busch. Er strahlte die ge-
wünschte Introvertiertheit aus und brachte dennoch die nötige Erfahrung mit.
Christian Blümel spielt Clemens. Ich verehre ihn wirklich. Seine Herangehensweise an das
Spiel ist einzigartig, er begibt sich mit einer wahnsinnigen Intensität in die Rollen hinein.
Jana wird von Kim Schnitzer gespielt. Sie hat eine sehr realistische Spielweise und bringt
viel von sich selbst ein.
Filmecho: Wie dirigiert man ein Ensemble, das Newcomer und gestandene Darsteller vereint?
Aufdermauer: Durch die gewählte Ästhetik – lange Einstellungen und Plansequenzen –
bewegen sich die Darsteller in einem eng abgesprochenen Rahmen. Wir hatten eine sehr
intensive Probenarbeit, in der auch viel improvisiert wurde. Außerdem bemühe ich mich,
emotional und physisch vor den Szenen die nötige Energie und Stimmung herzustellen.
Für mich ist „Zeit der Fische“ ein sehr schauspielerbezogener Film, weil Darsteller einen
intensiven Bogen spielen konnten.
Filmecho: Haben Sie konkrete Vorbilder?
Aufdermauer: Da ich selbst aus dem Theaterbereich komme, mag ich Filmemacher, die auf
die Szene setzen. Ich finde es unübertroffen, wie Ingmar Bergman zum Beispiel Szenen führt
und eine innere Wahrheit ausbrechen lässt.
Filmecho: Was würden Sie mit „Zeit der Fische“ gern erreichen?
Aufdermauer: Ich bin gespannt, wie der Film in Deutschland aufgenommen wird,
weil er ja mit seiner Stilisierung nicht den gängigen Sehgewohnheiten für Nachwuchsfilme
entspricht. Ich wünsche mir auch sehr, dass „Zeit der Fische“ über die deutschen Grenzen
hinaus Interesse weckt.
Das Interview führte Roman Klink (erschienen in: Filmecho, März 2007)